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Warum Querdenker zuletzt immer öfter Kitas angreifen

von | Aug 21, 2024 | Aktuelles

Schon wieder geraten Kitas ins Visier von Verschwörungsideologen. Querdenker und Rechtsextreme stellen erneut online Kitas an den Pranger, belästigen und bedrohen Kita-Mitarbeitende – diesmal in Freiburg. Es musste ein Sicherheitsdienst engagiert werden. Und das alles wegen bizarrer Lügen. Unter der Querdenker-Ideologie leiden also schon wieder am meisten die Kinder.

Vorwürfe als Lüge enttarnt: kein Kita-Vorfall in Freiburg

Jede Kita braucht ein Kinderschutzkonzept, wer dort arbeiten will, muss ein Führungszeugnis vorlegen, Mitarbeitende werden regelmäßig geschult. Dabei ist deutlich, es ist eben nicht der „fremde Mann“, sondern meist Täter aus dem sozialen Nahbereich: die Familie, der Freundeskreis oder andere Vertrauenspersonen. Falls doch etwas in einer Kita passieren sollte, würde das schnell herauskommen. Erzieher:innen als auch weitere Erwachsene im Kindergarten müssten bei einem potenziellen Missbrauch mitmachen und den Vorgang decken. 

In einer Kita in Freiburg hat sich herausgestellt, dass alles in Ordnung ist und nichts passiert war. Das hat die Polizei offiziell bestätigt, nachdem sie wegen zuvor gestellter Vorwürfe ermittelt hat. Eine Mutter hatte nämlich Lügen verbreitet, gegen die die Kita später erfolgreich mit einer Unterlassungserklärung vorging. Auf diese falschen Vorwürfe stützen sich die Aluhüte nun in ihrem Wahn. Das ist in Wirklichkeit passiert:

Die Badische Zeitung berichtet im Artikel “Gefährliche Lügen auf Tiktok und Instagram verunsichern Kita-Eltern in Freiburg“:

Polizei und Staatsanwaltschaft gingen den Anschuldigungen nach. “Es wurden umfangreiche Ermittlungen, wie etwa eine Durchsuchung, Durchsicht von Datenträgern und medizinischen Unterlagen sowie verschiedene Vernehmungen getätigt”, sagt Martina Wilke von der Staatsanwaltschaft Freiburg. Schließlich stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren aber mangels Tatverdacht ein. Aufgrund der offenen Bauweise der Einrichtung sei es äußerst unwahrscheinlich gewesen, dass die Taten möglich gewesen wären, ohne dass jemand sie bemerkt hätte. Die Person, die die Vorwürfe erhoben hatte, verpflichtete sich, sie nicht zu wiederholen. Die Einrichtung holte Fachberatungsstellen an Bord.“

Polizei: Unterstellungen entsprechen nicht der Wahrheit

Auch die Polizei stellt klar, einen Fall, wie in den Aluhut-Videos angedeutet, gibt es nicht

Die Anschuldigungen entsprechen nicht der Wahrheit.

Aufgrund einer Strafanzeige führte die Staatsanwaltschaft Freiburg im Frühjahr 2024 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs und der Körperverletzung zum Nachteil von Kindern. Drei Mütter erhoben Vorwürfe gegen zwei Bedienstete einer Kindertageseinrichtung in Freiburg. Das Verfahren richtete sich nicht gegen den im Internet abgebildeten Leiter einer Kindertagesstätte. Die Kriminalpolizei des Polizeipräsidiums Freiburg nahm unverzüglich umfangreiche Ermittlungen auf. In diesem Zusammenhang fanden Durchsuchungen, eine Durchsicht von Datenträgern und medizinischen Unterlagen sowie verschiedene Vernehmungen statt. Die Ermittlungen ergaben abschließend keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte für die erhobenen Vorwürfe.

Selbst nach diesen Ermittlungen mit Hausdurchsuchungen (!) und auch der Durchsicht von Datenträgern, vermutlich also den Handys der Beschuldigten, stellte die Polizei fest, dass eben an den Anschuldigungen nichts dran war. Die Wahrheit beirrte die Mutter aber anscheinend nicht. Sie verbreitete die Anschuldigungen weiter (die auch gar nicht zur Geschichte im Video passen). Daraufhin erwirkte die Kindertagesstätte die Abgabe einer zivilgerichtlichen Unterlassungserklärung. Sprich: Sie ließ der Mutter verbieten, sie zu verleumden. Man muss sich eben nicht gefallen lassen, öffentlich als Kinderschänder bezeichnet zu werden. Also: Von einer Mutter wurde anscheinend eine haltlose Lüge in die Welt gesetzt. Und die Verschwörungsideologen im Netz stürzen sich bekanntermaßen auf Lügen, um damit ihre Propaganda zu verbreiten.

Auch Uniklinik bestätigt: Kitas verheimlichen nichts

Auch die Uniklinik hat sich gegenüber Roger Bittel, einem Schweizer Verschwörungsunternehmer (!), nochmals geäußert. Er hatte in einem Video – Kindesmissbrauch gibt immer gute Klickzahlen – dem Thema viel Platz eingeräumt.

„Grundsätzlich erhalten Eltern / Sorgeberechtigte direkt im Anschluss an die Untersuchung eine mündliche Einschätzung. Sollte sich in der Untersuchung der Verdacht auf Missbrauch erhärten, leiten Mitarbeiter*innen des Universitätsklinikums in Rücksprache mit den Sorgeberechtigten unverzüglich ! weitere Maßnahmen ein, etwa die Information des Jugendamtes oder der Polizei. Sollte sich ein Verdacht nicht erhärten und auch anderweitig kein eiliger Versand erforderlich sein, wird der Arztbrief in der Regel innerhalb von 6-8 Wochen verschickt. Es kann auch auf die Zusendung eines Arztbriefs verzichtet werden. Mittlerweile konnte ein Fall rekonstruiert werden, in dem ein Brief aufgrund eines Versehens nicht an die Sorgeberechtigten/ Eltern geschickt wurde. Da der Arztbrief auch nicht angefordert wurde, ist das leider nicht aufgefallen. Dies wurde mittlerweile nachgeholt.“

Die Strategie hinter den Lügen – warum Menschen darauf reinfallen

Dabei ist der Mechanismus dieser Videos ganz einfach: Zum einen wird durch Dramatisierung in Sprache und Rhetorik, gepflegtes Auftreten (Schminke, teuer aussehende Kleidung, …) und andere Stilmittel („die wichtigste Botschaft“, „hört mir zu und schaut euch das bitte an“, Wiederholungen, …) der Eindruck erweckt, sie sei eine seriöse Quelle, die jetzt eine ganz wichtige Botschaft verbreitet.

Und dann setzt bei vielen Eltern bei so einem Angstthema das Nachdenken aus. Sie glauben einer „Frau aus dem Internet“ im Zweifel eher als der Polizei. Deshalb kommt es so oft vor, dass Kitas von Rechten oder Verschwörungsunternehmern angegriffen werden, weil man hier besonders gut Emotionen ausnutzen kann. Alle, die Kinder in die Kitas geben und sich vielleicht Gedanken machen, sprechen auf das Thema an. Es ist ja nicht das erste Mal, immer wieder nutzen Rechte und Querdenker Fakes gegen Kitas, um die Meute aufzuhetzen. Wir berichteten schon an Weihnachten 2023, zum Muttertag und selbst 2019 bereits über ähnliche Hetze gegen Kitas.

​​Dazu kommt noch, dass alle kommerziellen Plattformen – egal ob TikTok oder YouTube – so gebaut sind, dass Videos, die starke Emotionen erzeugen, weiterverbreitet werden, denn die Nutzer bleiben dann lange auf der Plattform und man kann ihnen mehr Werbung zeigen. 

Und weil das so gut funktioniert, liefern die Fake-Schleudern immer wieder neues Material in Form neuer Videos nach.

Kinder als zentraler Gegenstand von Verschwörungsmythen

Die rechtsextreme Aluhut-Erzählung vom Kinderhandel ist ein zentraler Teil des Weltbilds von QAnon Verschwörungsgläubigen.

„Zentral ist die Behauptung, eine einflussreiche, weltweit agierende, satanistische Elite entführe Kinder, halte sie gefangen, foltere und ermorde sie, um aus ihrem Blut ein Verjüngungsserum zu gewinnen.“

sagt Wikipedia. Wir haben zu Beginn der Corona-Pandemie schon ausführlich diese Verschwörungserzählung widerlegt:

Und genau diese Motive finden wir auch im Videokanal der Dame, die aktuell die Anschuldigungen gegen Kitas verbreitet. Aber noch viel mehr: Bei den Videos geht es auch gegen das Impfen, gegen Lauterbach, und viele andere Themen, die das Querdenker-Herz ansprechen.

Urheberin der Videos kommt aus Querdenken Szene

Aktiv war die Urheberin der Videos auch in der Freiburger Querdenken-Szene. So liegen Volksverpetzer sowohl Fotos von Demonstrationen vor, in denen sie zusammen mit anderen zentralen Figuren der Querdenken-Szene einen Buchstaben des Wortes „Frieden“ auf einer Demonstration im Herbst 2022 hochhält, als auch von Querdenker-Autokorsos oder gemeinsamen Essen der Szene. Ende 2023 verschwand sie aus der Freiburger Querdenken-Szene. 

Im Laufe der Videos und zahlreicher Instagram-Stories werden immer wieder andere Kitas verdächtigt, der Ort des Geschehens zu sein.

Eigentlich ist das zentrale Motiv, bei Eltern “Angst um Kinder” zu erzeugen, dass sie entweder von den Behörden weggenommen würden, im Kindergarten sexuell missbraucht oder durch Impfungen oder Fluoridierung der Zähne vergiftet würden. Und hier sitzt das Scharnier in Richtung Rechtsextreme- und Querdenker-Bewegung. Das Zynische ist natürlich, dass hier nie Kinder gefährdet waren – bis die Querdenker diese Lügen in die Welt gesetzt haben und die Kita bedrohten. Sie geben vor, Kinder zu schützen und sind am Ende die einzigen, wegen denen die Kita jetzt Schutz braucht.

Und warum? Nun, es lohnt sich auch finanziell, derartige Märchen zu verbreiten. Inzwischen ist der TikTok Kanal der Querdenkerin gesperrt, die das Märchen in die Welt setzte. Durch die Videos und die Website lässt sich aber gut nachvollziehen, was zum einen die Masche ist, um Aufmerksamkeit zu erlangen und zum anderen, was möglicherweise auch der Hintergrund der Videos sein könnte. Deutlich wird das, wenn man auf die Website der Urheberin geht: Es werden dort Seminare und Nahrungserzängungsmittel gegen Geld angeboten. Und damit ist das Geschäftsmodell so einfach wie perfide. Wenn ein Video eine Million Leute anschauen und nur jeder tausendste davon bei ihr kauft, dann hat sie schon 1000 Einkäufe. Und selbst wenn es nur 100 sind, so kommt doch schon eine erkleckliche Summe zusammen.

Was tun gegen Querdenker-Hass auf Kitas?

Wenn man das jetzt alles so aufzählt, dann ist klar: Das kann nicht glaubhaft und seriös sein. Doch solche Recherche brauchen Zeit und währenddessen wird die Botschaft tausendfach geklickt und angeschaut. Deshalb ist jeder gefragt: 

Wir leben in einer redaktionellen Gesellschaft – wir teilen und verbreiten selbst Nachrichten und Informationen, so wie es vor 20 Jahren nur Redakteure professioneller Zeitungen konnten – teils mit enormer Reichweite. Und während die Redakteure von der Zeitung in einem Büro sitzen, gelernt haben, Quellen auszuwerten und deren Seriösität zu beurteilen, machen wir das mal so nebenbei, oft um uns die Langeweile zu vertreiben, in kurzen Zeitabschnitten, in denen wir warten. Wir prüfen dann häufig nicht – kann das sein, ist das plausibel  – sondern lassen uns beim Teilen von unseren Emotionen leiten. Wir werden selbst Opfer von Geschäftemachern, die unsere Emotionen für Klickzahlen ausnutzen. 

Teilt deshalb die Informationen aus diesem Artikel mit euren Freunden, damit sie statt der Querdenker-Fakes Aufklärung über die Hintergründe solcher Desinformation lesen. Und behaltet auch selbst im Kopf: Wenn ihr etwas teilt, werdet ihr für eure Freunde zu “Journalisten”. Jeder Klick bedeutet eine hohe Verantwortung. Also hinterfragt auch und gerade die Dinge, die scheinbar gut in euer eigenes Weltbild passen. Fakes sind schnell geschrieben, noch schneller verteilt – doch sie zu widerlegen ist aufwendig, sobald sie einmal in der Welt sind.

Artikelbild: canva.com / Screenshots freiburg.de & badische-zeitung.de