PR-Eigentor der Deutschen Bahn – mit Schützenhilfe von rechts
Was ich anfangs für ein harmloses Foto hielt, hat sich letztlich doch zum handfesten Politikum entwickelt. Allein schon, dass ich jetzt darüber einen kleinen Aufklärungsartikel schreiben muss, sagt eigentlich schon alles. Es fing alles mit diesem Foto von Greta Thunberg an, die auf ihrem Heimweg nach Schweden mit der Deutschen Bahn fuhr und von überfüllten Zügen berichtete. Auf diesem Foto sieht man sie mit Gepäck auf dem Boden des Zuges sitzen.
Traveling on overcrowded trains through Germany. And I’m finally on my way home! pic.twitter.com/ssfLCPsR8o
— Greta Thunberg (@GretaThunberg) December 14, 2019
Viele nahmen das Bild zum Anlass, um gegen die Unzuverlässigkeit der Bahn zu sticheln. Jede*r, der einmal wegen eines ausgefallenen Zuges auf dem Boden sitzen musste – wie ich erst vor zwei Wochen – konnte das Bild schmerzlich nachvollziehen.
Die ganze #Greta/#ICE – Nummer ist natürlich ein Fake:
1. Eine Bahn, die fährt? Hallo?
2. Mit welchem Netz hätte man das Foto aus dem Zug hochladen sollen?!Deutsche Mondlandung, meine Meinung.
Schönen Tag noch.#GretaThunberg #deutschebahn
— Micky Beisenherz (@MickyBeisenherz) December 15, 2019
Doch die Deutsche Bahn war wohl eher gekränkt wegen der schlechten PR. Der DB AG-Account twitterte heute im verzweifelten Versuch, sein Gesicht zu wahren:
Noch schöner wäre es gewesen, wenn Du zusätzlich auch berichtet hättest, wie freundlich und kompetent Du von unserem Team an Deinem Sitzplatz in der Ersten Klasse betreut worden bist. #Greta 2/2
— Deutsche Bahn AG (@DB_Presse) December 15, 2019
Man versuchte, sich als umweltfreundliches Verkehrsmittel ans größere Narrativ zu knüpfen – was ja richtig ist und der Grund, warum Greta überhaupt Zug fuhr – konnte es sich aber nicht lassen, gegen die Klimaaktivistin zu sticheln und zu behaupten, Greta hätte in ihrem Zug durchaus einen Sitzplatz gehabt – und sei bei diesem auch noch “freundlich und kompetent” betreut worden.
Greta-Hasser witterten eine Gelegenheit
Durch den Tweet der DB wirkte es also so, als würde die DB Greta Thunberg unterstellen, sie hätte gelogen, damit, dass sie keinen Sitzplatz gehabt hätte. Auch wenn sie das ja nicht direkt behauptet hatte, sondern nur das Foto postete – wie viele Reisefotos zuvor. Greta-Hasser, Klimawandelleugner und Klimaschutzverzögerer jeder Couleur witterten nun die Gelegenheit: Verbreitet man ohnehin ständig die unbelegte Verschwörungstheorie, hinter Greta stecke eine PR-Kampagne (Habe ich hier widerlegt), glauben sie, hier den Beweis gefunden zu haben, dass Greta das Foto nur “inszeniert” habe.
Screenshots via DieInsider. Kurz nachdenkende Menschen müssten sich allerdings fragen, warum Greta – als Klimaschutzaktivistin – Interesse darin hätte, ein Transportmittel mit Absicht schlecht darzustellen, das mit 100% Ökostrom fährt. Doch soweit denken die Demagogen nicht, sie schlachten es sofort aus. Die DB legt sogar nach und veröffentlichte dazu gar eine Pressemitteilung:
Ratet mal was @DB_Presse gerade als Pressemitteilung herausgesendet hat. Nach dem Tweet von @GretaThunberg. Richtig: Noch mal den Tweets mit bisschen mehr Fuck you. https://t.co/BeDk08gzNQ pic.twitter.com/PzJa8p3TcA
— Dennis (@gglnx) December 15, 2019
Greta stellt klar: Der Zug ist ausgefallen!
Doch die patzige Antwort der DB war leider ein Eigentor. Wie Greta Thunberg wenig später klar stellte, ist der Zug ausgefallen, in welchem sie eine Reservierung hatte und von welchem die DB gesprochen hat!
Our train from Basel was taken out of traffic. So we sat on the floor on 2 different trains. After Göttingen I got a seat.This is no problem of course and I never said it was. Overcrowded trains is a great sign because it means the demand for train travel is high!
— Greta Thunberg (@GretaThunberg) December 15, 2019
“Unser Zug aus Basel ist ausgefallen. So saßen wir in zwei [Ersatz-]Zügen auf dem Boden. Nach Göttingen habe ich erst einen Sitzplatz bekommen. Das ist natürlich überhaupt kein Problem und ich habe nie gesagt, dass es eins wäre. Überfüllte Züge bedeutet, dass die Nachfrage nach Zugreisen hoch ist!”
Greta Thunberg wollte also niemals die DB dafür kritisieren, keinen Sitzplatz bekommen zu haben (obwohl das bei ausgefallenen Zügen durchaus berechtig gewesen wäre), und erst Recht nicht Zugreisen an sich diskreditieren. Es macht ja auch aus ihrer Perspektive überhaupt gar keinen Sinn. Kann einer der Greta-Hasser erklären, was der Zweck davon sein sollte, ein derartiges Foto zu inszenieren? Das Foto entstand in einem der Ersatz-Züge, den Greta nutzen musste – dass sie (später) einen Sitzplatz hatte schließt das ja nicht aus.
Auf dem Bild ist es draußen auch noch hell, wie man sehen kann. Wenn sie wirklich erst ab Göttingen (Ankunft ca 16 Uhr) einen Sitzplatz hatte, dann stimmt dieser Ablauf: Greta hatte geplant, mit dem ICE 76 von Basel nach Hamburg zu fahren. Aufgrund eines technischen Problems fiel dieser Zug ab Offenburg aus und die DB stellte einen Ersatzzug (ICE 2909) bis Frankfurt(Main) Hbf. Ab dort ging es weiter mit dem nächsten ICE (ICE 74), der natürlich gut gefüllt sein musste (Fahrgäste aus ICE 76 und 74). Ab Göttingen war es leerer, und sie konnte sich setzen (Danke an den Hinweis eines Lokführers!). Weder Greta noch die DB hat also gelogen, die DB wollte nur darauf hinweisen, dass Greta zumindest später doch saß, um sich selbst besser darzustellen.
Fazit
Wir haben hier also ein völlig harmloses Foto von Greta – das ironischerweise DB-Alltag zeigt – indem sie keine indirekte Kritik üben wollte, sondern lediglich ihre Reise dokumentieren, ohne Hintergedanken. Dann eine eingeschnappte Deutsche Bahn, die das PR-Desaster abwenden wollte und so tat, als könne sie nie auf dem Boden gesessen haben, weil sie auch einen Sitzplatz gehabt hätte. Und Rechtsextreme und Klimaschutzverzögerer, die auf diesen Zug aufspringen (pun intended), und das ganze für Greta-Hass ausschlachten. So war es ein großes Eigentor für die Bahn.
Das eigentliche Problem dabei ist, dass wir jetzt über dieses harmlose Foto in einer idiotischen Diskussion gefangen sind, anstatt über die UN-Klimakonferenz und ihre Ergebnisse zu sprechen oder über sinnvolle Maßnahmen für Klimapolitik. Diese Lügen und Falschdarstellungen sollen die Öffentlichkeit von der eigentlichen Diskussion ablenken: Die dringend notwendige Klimawende.
Zum Thema:
Artikelbild: Greta Thunberg, Twitter