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AfD: Agitation wie zur NS-Zeit?

von | Aug 26, 2024 | Analyse, Demokratischer Herbst

Die AfD trägt auch als Oppositionspartei erheblich zur Radikalisierung der politischen Diskurse bei. Das ergibt sich aus einer Studie am Beispiel Sachsens, die die Otto-Brenner-Stiftung am Donnerstag vorgestellt hat. Eine knappe Woche vor der Landtagswahl verdient die Studie besondere Aufmerksamkeit. Die Wissenschaftler fanden dabei nämlich auch erschreckend offene und weitreichende Parallelen zur Rhetorik der Nazis in den 1940er Jahren.

Studie: Thematische Überschneidungen zwischen AfD und Faschismus der 40er Jahre

„Die Partei nutzt die parlamentarische Bühne für ihre agitatorischen Ziele“, erklärt die Stiftung der Industriegewerkschaft Metall in dem 88-seitigen Arbeitspapier „Falsche Propheten‘ in Sachsen“:

„Entlang der Themen Migration, Klimawandel und Gender werden Bedrohungs- und Angstszenarien aufgebaut, die an verbreitete Ressentiments anschließen und bis hin zu einem Kampf um völkische Selbsterhaltung übersteigert werden.“

In der Studie beziehen sich die Soziologen Ulf Bohmann, Moritz Heinrich (beide TU Chemnitz) und Matthias Sommer (Universität Göttingen) auf das Konzept der Agitation, das der Soziologe Leo Löwenthal in der Studie „Falsche Propheten, Studien zur faschistischen Agitation“ in den 40er Jahren entwickelt hat.

Die Autoren kommen zum Schluss, dass es zwischen der Agitation der rechtsextremen AfD und den von Löwenthal untersuchten politischen Reden weitreichende thematische Entsprechungen gibt. Diese reiche teilweise bis in die konkrete Wortwahl. Von den Studienautoren wurden 84 Landtagsreden aus der zu Ende gehenden Wahlperiode des sächsischen Landtags ausgewertet.

Bewusst verzichten die Autoren darauf, die ausgewählten Zitate von einzelnen Abgeordneten namentlich zu kennzeichnen. Es geht ihnen darum, die spezifischen Techniken der rechtspopulistisch-rechtsextremen politischen Rede zu beschreiben. Eigentlich waren Bohmann, Heinrich und Sommer davon ausgegangen, dass der parlamentarische Raum „eigentlich zur Mäßigung anhält“. Davon aber kann in der Praxis, wie die vergangenen fünf Jahre in Sachsen zeigen, keine Rede sein.

AfD inszeniert sich als bürgerlich

Das Konzept hinter der AfD-Agitation beschreiben die Studienautoren so:

„Ziel ist eine Politik als bürgerlich zu labeln, welche in Sachsen als gesichert rechtsextrem einzuschätzen ist und damit zu einer Normalisierung der eigenen Position beizutragen.“

Insgesamt auffällig und ein typisches verbindendes Merkmal sei der „sich durchziehende destruktive Charakter der Techniken, denen dadurch demokratiegefährdendes Potenzial zukommt“.

Konkret am Beispiel des Themas Migration verfährt die AfD doppelgleisig. Einerseits wird das Bild einer direkten Bedrohung durch vermeintlich gewalttätige Migranten gezeichnet, mit Schlagworten wie „Messermorde“, „Machetenangriffe“ oder „Gruppenvergewaltigungen“. Die rechtsextreme Partei behauptet, die Einwanderungspolitik der etablierten Parteien habe dazu geführt, „dass das Leben von Frauen stetig beschwerlicher und gefährlicher, sogar lebensgefährlich geworden ist“. Nicht einmal das kleinste Dorf bleibe verschont, „No-go-Areas sollen bis in den letzten Winkel des Landes installiert werden“.

Andererseits werden laut der Studie regelmäßig auch indirekte Bedrohungen durch eine Gefährdung des Sozialsystems behauptet. Es bestehe demnach die Gefahr einer „bis zum Kollaps reichenden Überlastung“. Sachsen seien fleißig, Migranten faul, heiße es in den AfD-Reden. Von „Glücksrittern, die unsere Sozialsysteme einwandern wollen“, sprach einer der rechtsextremen Politiker im Landtag: „Sie werden uns Milliarden an Steuergeld, das unsere Bürger erwirtschaften müssen, kosten, sie werden den bereits bestehenden Wohnungsmangel verschärfen und unsere innere Sicherheit zerstören.“

Zentrale Feindbilder der Agitation: Grüne und CDU

Kennzeichnend für die Agitation der AfD seien „zentrale Feindkonstruktionen“. In Sachsen betrifft das unter den Parteien insbesondere die mitregierenden Grünen. Diese würden als „Sekte“, „rückwärtsgewandt“ und „Feinde der Demokratie“ geradezu dämonisiert .

Aber auch die seit 1990 regierende CDU steht im Kreuzfeuer der AfD-Kritik. Sie habe nicht nur ihre eigenen – die „wahren“ konservativen – Werte und Ideale verraten, sondern auch die sächsischen Bürger ganz generell. „Heute biedert sich die CDU bei den grünen Kommunisten an und trägt deren freiheitsfeindliche Verbotspolitik mit“, hieß es in einer AfD-Rede. Immer wieder appellierten AfD-Politiker, sich vom „links-grün durchtränkten Ungeist“ abzugrenzen und von „der grünen Fußfessel zu lösen“. Forderungen, die, je näher der Wahltag rückt, bei Michael Kretschmers CDU sogar teilweise verfangen.

Der Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung, Jupp Legrand, hebt im Vorwort als Stärke des Arbeitspapiers heraus, dass die Autoren darauf verzichtet haben, sich auf konkrete Personen zu fokussieren – wie es beispielsweise in der Auseinandersetzung mit dem thüringischen AfD-Chef Björn Höcke immer wieder passiert. So könne die „Agitation allgemeiner kritisiert werden“. Die AfD verfahre bei ihrer Agitation destruktiv:

„Statt Lösungen für real existierende Verunsicherungen und Leiderfahrungen zu entwickeln, bietet sie regressive Ersatzlösungen an – das Austoben von Gefühlen der Wut und des Hasses, die gewalttätige Umdeutung und Verdrängung der Wirklichkeit, die Missgunst gegenüber und Verfolgung von politischen Feinden.“

Legrand warnte die demokratischen Kräfte, sich selbst von der Agitation der Rechten nicht anstecken zu lassen.

„Experimentallabor der extremen Rechten“

Schon einige Tage vor der Veröffentlichung der Otto-Brenner-Studie hatten verschiedene Expertinnen und Experten in Interviews mit der „Frankfurter Rundschau“ eine ähnliche Bedrohungslage vor der Sachsen-Wahl beschrieben.

Der Demokratieforscher Johannes Kiess sprach davon, dass die AfD bei früheren Wahlen in einzelnen Gemeinden mehr als die Hälfte der Stimmen geholt habe. Die politische Kultur habe sich „massiv verschoben“. Kiess sprach davon, dass sich der „Möglichkeitsrahmen“ für politische Gewalt geweitet habe. Die Situation erinnere an die als „Baseballschlägerjahre“ bekannten Zustände im Ostdeutschland der 1990er Jahre. Einzelne Regionen wie das Erzgebirge seien nach der Wende zum „Experimentallabor der extremen Rechten“ geworden, ergänzte die Leipziger Sozialpsychologin Henriette Rodemerk.

In Sachsen werden sich bei der Wahl am 1. September CDU und AfD nach allen Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern, gefolgt auf Rang drei vom BSW. Grüne, Linke und SPD müssen um den Wiedereinzug in den Landtag fürchten. Der CDU werden in den Umfragen zwischen 29 und 34 Prozent vorausgesagt, der AfD zwischen 30 und 32 Prozent. Angesichts der schon jetzt zunehmenden Gewalt sind das düstere Aussichten für diejenigen, die sich um die Demokratie sorgen.

Artikelbild: Robert Michael/dpa / canva.com