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Das ist Dionysos, nicht das Abendmahl: Rechte Olympia-Blamage

von | Jul 30, 2024 | Faktencheck

Die nächste Pseudo-Empörung vom rechten Rand dreht sich rund um die Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele. Ein kurzer Teil der vierstündigen Zeremonie ist eine Anspielung auf die griechischen Götter und ein bekanntes Gemälde dazu. Zu sehen ist Dionysos, nicht Jesus und das Abendmahl. Warum die radikale Rechte sich trotzdem an ihrer inszenierten Empörung festhält.

Es war von Anfang an Dionysos, wurde auch offiziell erklärt

Die offizielle Twitter-Seite der Olympischen Spiele hatte bereits am gleichen Tag angekündigt, die Eröffnung der Spiele mit einer Interpretation des griechischen Gottes Dionysos zu beginnen. Diese sollte die Absurdität von Gewalt zwischen Menschen widerspiegeln.

Obwohl die Olympischen Spiele also selbst angekündigt hatten, mit ihrer Eröffnung eine Inszenierung griechischer Mythologie zu vollziehen, haben zahlreiche Medien und Personen fälschlicherweise behauptet, dass es sich bei der Szene um eine Nachstellung von Da Vincis „Das Letzte Abendmahl“ handle. Darunter z. B. der Vatikan, welcher gegenüber der Zeitung „Il Giornale“ die Inszenierung als eine „blasphemische Verhöhnung eines der heiligsten Momente des Christentums“ bezeichnete. Auch französische Bischöfe kritisierten die Inszenierung und verbreiteten die Falschinformation, dass es sich dabei um Da Vincis Letztes Abendmahl handle. 

Das ist nicht das letzte Abendmahl

Doch nicht nur einige Christen verbreiteten diese Falschaussage. Auch rechte Medien wie die rechtsradikalen Junge Freiheit oder Fox News sowie Einzelpersonen wie Elon Musk, der in der Vergangenheit bereits dadurch auffiel, dass er antisemitische und transfeindliche Desinformation verbreitete:

Quelle: Antisemit Elon Musk

Thomas Jolly, der Regisseur der Eröffnungsfeier, betonte im Nachgang der Eröffnung gegenüber dem französischen TV-Sender BFMTV jedoch, dass sich die Inszenierung auf das Gemälde „Das Festmahl der Götter“ von Jan van Bijlert (1598-1671) bezog. Es wurde folglich nicht das Letzte Abendmahl inszeniert.

Gemälde: Wikimedia, Own work, RMN / Stéphane Maréchalle 2009, CC0 1.0 UNIVERSAL;

Das Bild zeigt eine Feier auf dem Olymp, anlässlich der Hochzeit von Thetis und Peleus. Abgebildet sind viele weitere Götter wie der sonnengekrönte Apollo in der Mitte, daneben Artemis (hinten) und Aphrodite (links) sowie Dionysos im linken Vordergrund.

Die Parallelen zwischen diesem Gemälde und der Inszenierung der olympischen Spiele werden besonders an der Darstellung von Apollo deutlich. So zeigt die Interpretation der Eröffnungsfeier in der Mitte der Szene eine Figur mit einem Kranz, der an Sonnenstrahlen erinnert. Wie auch bei van Bijlert, der den Sonnengott Apollo mittig im Bild mit einem strahlenden Kranz darstellt. Dionysos wird ebenfalls sowohl bei van Bijelrt als auch in der Eröffnungsfeier im Vordergrund und mit leicht schräg liegender Pose dargestellt. Es ist also offensichtlich, dass die Inszenierung der olympischen Spiele keine Anspielung auf das Letzte Abendmahl ist.

Dionysos, nicht Jesus

Trotzdem hielt sich die Lüge, dass es eine Nachstellung von Da Vinics Gemälde sei erstmal hartnäckig. Insbesondere in rechten und verschwörungsideologischen Kreisen. So wurde z. B. in einem Q-Anon Telegram-Channel ein Artikel von Apollo News geteilt, der die Darstellung von Apollo bei den olympischen Spielen als „Jesus als Drag-Queen“ fehlinterpretiert.

Es ist besonders ironisch, dass ein Medium, das ausgerechnet Apollo heißt, die eigene mythologische Vorlage, auf die es sich bezieht, nicht einmal erkennt. Und damit wären wir auch bei der peinlichen Wahrheit an dieser Debatte, welche das Luxemburger Wort wie folgt zusammenfasst: „Der Streit in Frankreich offenbart Unkenntnis Rechtsextremer und Kirchenoberhäupter in griechischer Mythologie und heidnischer Kultur.“

Rechte Doppelmoral zum Abendmahl

Hier geht es jedoch um viel mehr als um die banale Unkenntnis der eigenen Kultur. Es ist kein Zufall, dass sich die Falschmeldung über die Eröffnungszeremonie überwiegend in konservativen und rechten Kreisen verbreitete. Das Problem an der Inszenierung ist nicht, dass sie das Letzte Abendmahl angeblich popkulturell interpretiert, so wie es z. B. bereits mit den Simpsons, The Expandables oder Star Wars getan wurde.

Screenshot: Professor Schwurbelstein

Bei anderen Nachstellungen des Abendmahls bleiben Rufe nach Blasphemie oder Vorwürfe von Respektlosigkeit gegenüber dem Christentum aus.

Wie Oliver Marquardt im evangelischen Sonntagsblatt anmerkt, gäbe es tatsächlich durchaus Anlass, sich über die Religionsfreiheit bei den Olympischen Spielen zu beschweren: „Muslimische Sportlerinnen aus Frankreich, die ein Kopftuch tragen, dürfen nicht teilnehmen. Seltsamerweise hört man aber kaum Empörung darüber – obwohl es bei diesem Thema viel angebrachter wäre.“

Um Religion geht es bei dieser Debatte jedoch nicht. Vielmehr geht es um die Tatsache, dass es Dragqueens waren, welche die Szene nachstellten. Fox News teilte einen Artikel mit der Headline: „Last Supper: Gone completeley woke‘“ und zitierte damit Libs of TikTok, einen rechtsextremen und LGBTQ-feindlichen TikTok Kanal.

Absichtliche Fehlinterpretation

Die absichtliche Fehlinterpretation der Dionysos-Inszenierung ist ein gefundenes Fressen für Rechte und Konservative, die gegen LGBTQs und „Wokeness“ hetzen möchten. Seit einigen Jahren wird von Rechtsextremen und Verschwörungsideologen der Begriff „woke“, welche den Einsatz für Bürgerrechte und soziale Gerechtigkeit meint, als Kampfbegriff verwendet. Die Anti-Woke-Bewegung hat ihren Ursprung in den USA. Sie sieht sich als Verteidiger traditioneller Werte und lehnt Änderungen in Bildung und Gesellschaft ab. Darunter fällt auch das Festhalten an veralteten heteronormativen Idealen und längst überholten Geschlechtertheorien.

Der rechtsextreme Q-Anonymous Kanal Deutschland auf Telegram und der bekannte Verschwörungsideologe Michael Wendler schreiben z.B.:

Hier wird die Homo- und Transfeindlichkeit offenkundig, welche die verschwörungsideologische und Anti-Woke-Bewegung verstärkt prägt (mal ganz abgesehen davon, dass Dragqueens in der Regel keine trans Personen sind). Besonders trans Personen wurden im anti-woken Kulturkampf zum neuen Feindbild stilisiert. Die Angriffe gegen trans Personen steigen in den polizeilichen Statistiken seit Jahren kontinuierlich an. Sie reichen von Täter-Opfer-Umkehr, bei der sie und andere queere Menschen als Gefahr für Kinder dargestellt werden, bis hin zu Belästigung, Doxxing und leider auch Gewalt.

Die antiken Griechen waren ziemlich homosexuell, freunde

Was die Kritiker der Olympia-Eröffnungsfeier jedoch bewusst auslassen, ist, dass die Spiele nicht plötzlich „woke“ geworden sind, indem sie Nacktheit und Homosexuellen eine Bühne bieten. Die olympischen Spiele wurden im antiken Griechenland gegründet. Seit 720 v. Chr. traten die Athleten bei den Wettkämpfen nackt an. Auch das Wort „Gymnasium“ leitet sich vom griechischen Wort für „nackt“ (gymnos) ab. Nacktheit war also üblich bei den olympischen Spielen. Darüber hinaus war insbesondere die männliche Homosexualität bei den Spielen akzeptiert und wurde sogar als wichtig erachtet, um die Unberührtheit der Frauen zu schützen.

Screenshot: Matt Bernstein

All das zeigt, dass es den Rechten und der Anti-Woke-Bewegung nicht darum geht, Traditionen zu erhalten. Es geht darum, die olympischen Spiele für ihre menschenfeindliche Ideologie zu instrumentalisieren, um so ihre Agenda der gesellschaftlichen Spaltung und Verbotskultur voranzutreiben.

Nicht alle halten an der Abendmahl-Fehlinterpretation fest

Es gab aber auch vereinzelt Einsicht, dass man daneben lag, die auch positiv hervorgehoben werden kann. CDU-Mitglied und als rechter Kulturkämpfer und Gründer des Kampagnenmagazin The Republic bekannt, äußerte Armin Petschner-Multari Selbstkritik über die Fehlinterpretation der Szene als Abendmahl, nachdem er auch zuerst christliche Symbolik hineingelesen hatte:

“Und ganz ehrlich: Der blaue Dionysus auf der Tafel hätte uns allen eigentlich auffallen müssen. Da haben sich einige Leute ziemlich verrannt. Das Bildungsbürgertum ist anscheinend auch im Niedergang begriffen.” [sic]

Herrlich-erwartbar: die Reaktionen.

Die Eröffnungsfeier der olympischen Spiele war keine Nachstellung von Da Vincis Abendmahl. Es war eine Dionysos-Inszenierung, basierend auf dem Gemälde von Jan van Bijlert. Doch selbst wenn es eine Nachstellung vom letzten Abendmahl gewesen wäre. Was genau wäre daran verwerflich gewesen? Auch unter Dragqueens gibt es Christen. Und bei Nachstellungen mit Star Wars oder Simpsons Charakteren scheint es auch niemanden zu stören.

Beatrice von Weizsäcker, katholische Publizistin (ehem. Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentags), hält fest:

„Ich bin Olympia-Fan, Kunstliebhaberin und mag Jesus. Selten bin ich damit so auf meine Kosten gekommen wie bei der genialen Eröffnungsfeier. Herrlich-erwartbar: die Reaktionen.

Auf Threads postete ich: Ich finde es großartig, wie die #NoAfD & Konsorten sich ärgern. Von Jesus verstehen die nichts. Denn er lädt alle ein. An seinem Tisch ist Platz für jede und jeden. 🏳️‍🌈 🏳️‍⚧️“

Artikelbild: Wikimedia Gemälde: Own work, RMN / Stéphane Maréchalle 2009, CC0 1.0 UNIVERSAL; Screenshot twitter.com