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Ein Jahr AfD-Landrat: Wie geht es Sonneberg jetzt?

von | Jul 19, 2024 | Demokratischer Herbst, Faktencheck

Am 03. Juli 2023 trat Robert Sesselmann von der rechtsextremen AfD sein Amt als Landrat im thüringischen Sonneberg an. Er ist damit der erste AfD-Landrat. Bisher auch der einzige. Er versprach den Menschen in Sonneberg viel – aber konnte er seine himmelschreienden Ankündigungen auch einhalten? Noch im Wahlkampf warb der AfD-Politiker mit seinen EU- und migrationsfeindlichen Slogans. Mehr als ein Jahr nach seinem Amtsantritt muss er sich nun an seinen Versprechungen messen lassen. Ein Blick auf die Realität zeigt: Viele zentrale Ziele, die sich der AfD-Landrat selbst gesetzt hatte, konnte er in einem Amtsjahr nicht erfüllen.

Wir haben bereits darüber berichtet, dass unter dem AfD-Landrat die Gewalt in Sonneberg angestiegen ist – viele interessiert aber auch, wie es sonst so um den Landkreis Sonneberg steht. Darauf schauen wir jetzt – nach gut einem Jahr AfD-Landrat.

Finanzielle Schieflage in Sonneberg

Laut der repräsentativen Konjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer Südthüringen von Februar, die die IHK für den Landkreis Sonneberg ausgewertet hat, “stehen die Signale gesamtwirtschaftlich auf Abschwung”. Demnach bewerten nur 17 Prozent der Unternehmen die Geschäftslage als gut, für 55 Prozent ist sie schlecht. Schon 2021 schlug die IHK Alarm – der Fachkräftemangel mache der wirtschaftlichen Lage in Sonneberg zu schaffen.

Screenshot spiegel.de 

Auch Stand heute ist die finanzielle Lage des Landkreises fatal. Sonneberg steht finanziell am Abgrund und musste im April Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen einleiten. Es muss also massiv gespart werden. Insolvent ist der Landkreis Sonneberg zwar nicht, wie dieses Sharepic fälschlicherweise impliziert:

Alle anderen in dieser Grafik aufgeführten Punkte sind aber richtig, wie du in unseren Realitätschecks sehen wirst.

Fairerweise muss man sagen, dass der Landkreis Sonneberg nicht erst finanzielle Probleme hat, seitdem Sesselmann Landrat ist. Diese kann man auch nicht innerhalb eines Jahres lösen. Wer aber himmelschreiende Ankündigungen macht, sollte auch damit rechnen, dass Bürger:innen Ergebnisse erwarten. Es wäre wieder einmal typisch AfD, wenn ein Mantel des Schweigens über nicht einzuhaltende Ziele, die nun verfehlt werden, gebreitet wird.

Der Realitätscheck 1: Finanzlage noch kritischer

Im Wahlkampf sprach Sesselmann noch davon, den Sonneberger Haushalt konsolidieren zu wollen. Nun, ein Jahr später, lässt das Landratsamt dazu wissen: “Dies ist ein mittel- bis langfristiges Verfahren, welches bis zu zehn Jahre dauern kann”, wie der Spiegel schreibt

Dass man einen verkorksten Haushalt nicht einfach im Handumdrehen verbessern kann, ist uns wohl allen klar. Das kann man Sesselmann nicht vorwerfen. Wohl vorwerfen kann man ihm seinen populistischen Umgang mit unrealistischen Wahlkampfversprechen. 

Inzwischen prüft nämlich das Landesverwaltungsamt die Ausgaben des Landkreises, für 2025 wird eine Schieflage des Haushalts erwartet. Sparen möchte Sesselmann zwar schon, aber an falscher Stelle. So hat zum Beispiel Schlagzeilen gemacht, dass der AfD-Landrat versuchte, die Gelder für das Bundesprogramm »Demokratie leben« zu streichen. Es ging um 35.000 Euro Eigenanteil aus dem Kreishaushalt, die eine Förderung von 160.000 Euro ausgelöst hätten. Ernsthaft? Für 35.000 Euro Ersparnis (bei einem Gesamthaushalt von 100 Millionen) nicht mehr an einem Programm teilnehmen, das unter anderem das Jugendforum Sonnebergs unterstützt, die Jugendfahrten zur KZ-Gedenkstätte Buchenwald und Begegnungen zwischen Jugendlichen und Zeitzeug:innen organisiert sowie Filmprojekte über Geflüchtete umsetzt?

Die geplante Streichung des Programms war klar ein AfD-ideologisches Bemühen, wurde aber glücklicherweise rechtzeitig gestoppt. Leider konnte aber nicht verhindert werden, dass nun im Landratsamt Ansprechpartner für Integrationsfragen fehlen und Helfer:innen sich nicht mehr öffentlich kritisch äußern wollen, um einen Shitstorm zu vermeiden. 

Realitätscheck 2: Kliniken gehen unter AfD-Landrat insolvent

Eng verwoben mit den finanziellen Problemen Sonnebergs ist die Lage der Regiomed-Kliniken in der Region. Diese hatten schon seit Längerem mit Geldproblemen zu kämpfen, AfD-Landrat Sesselmann warb noch im Wahlkampf damit, dass er die Kliniken erhalten wolle. Diesen Januar musste die Regiomed-Klinikgruppe dann doch Insolvenz anmelden. Nach Sesselmanns Amtsantritt pumpte seine Behörde einen Millionenbetrag in die Klinikgruppe. Diese Gelder zeigten offensichtlich keine Wirkung. Die Klinikgruppe, welche ein wichtiger Arbeitgeber in der Region ist, weist ein Millionendefizit auf. 

Wie schon bei der Haushaltskonsolidierung ist klar: Wenn eine Klinik Insolvenz anmeldet, dann kommt das nicht von heute auf morgen, sondern dann liegt etwas Strukturelles im Argen. Doch auch hier gilt: Das sollte ein ernsthafter Politiker wissen und nicht mit großspurigen Ankündigungen um sich werfen. Aber was sage ich da: Sesselmann hat ja bereits bestätigt, dass er sich freut, wenn einer zu ihm sagt, dass er Populist ist. In der Realität hilft es jedoch den Menschen bei medizinischen Notfällen denkbar wenig, wenn Sesselmann tolle Reden schwingt. Populismus klickt sich zwar gut auf Social Media, gegen Herzinfarkte oder Krebserkrankungen hilft er aber halt nicht. 

Realitätscheck 3: AfD-Landrat bricht versprechen, Grundschule geschlossen

Dieselbe Geschichte mit einer Grundschule in Sonneberg, die AfD-Landrat Sesselmann versprach, zu erhalten. Diese wurde nach 116 Jahren Betrieb bereits kurze Zeit nach Sesselmanns Amtsantritt geschlossen. Ein weiteres Wahlversprechen wurde damit also nicht erfüllt. Konkret handelt es sich um die Grundschule im Ortsteil Mengersgereuth-Hämmern. Genau die Schule, an der Sesselmann noch 2023 Wahlwerbung in Bezug auf die Landtagswahlen gemacht hatte, als er schon ein paar Tage Landrat war. Vor Grundschulkindern!

Übrigens: Wenn ein Landrat politische Werbung an Schulen macht, wäre dies ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot. Landräte sind dazu verpflichtet, politische Neutralität zu wahren und ihre persönlichen politischen Überzeugungen nicht in ihrer dienstlichen Tätigkeit zum Ausdruck zu bringen. Indem ein Landrat politische Werbung an Schulen macht, würde er seine politische Positionierung in einer Weise zum Ausdruck bringen, die mit dem Neutralitätsgebot unvereinbar ist. Wir haben damals berichtet

Realitätscheck 4: marode Landstraßen

Nicht Teil von Sesselmanns Wahlwerbung, aber ein großer Belastungsfaktor für die Menschen in Sonneberg ist die anhaltende Sperrung der maroden Landstraße 1148 im Thüringer Wald zwischen Steinach und Lauscha. Das Problem: Eine Stützwand an der Landstraße, die die Straße vom Flussbett der Steinach trennt. Nach 124 Jahren ist die Mauer nun marode und muss vom Landesamt für Bau und Verkehr saniert werden, bevor die Straße ins Flussbett abrutscht. Statt normal 6 Kilometern müssen Anwohner:innen 24 Kilometer Umweg in Kauf nehmen. Es gab Pläne für eine Behelfstrecke, diese konnte Sesselmann aber nicht umsetzen, fehlende Zuständigkeiten und Sparmaßnahmen werden als Gründe genannt. 

Screenshot Google Maps

Realitätscheck 5: Wahlversprechen, mit denen Bürger für dumm verkauft werden

Sesselmann hätte in seinem Amtsjahr viele Gelegenheiten gehabt, bei Problemen anzupacken, die den Alltag und die Lebensqualität der Bürger:innen in Sonneberg betreffen, siehe Krankenhäuser, wegfallende Arbeitsplätze, Schulschließung, Verkehrsinfrastruktur. Bisher konnte er davon nichts erfüllen. Medien attestieren ihm, dass er eher den Fokus auf die Modernisierung der Kreisverwaltung legte. Sicherlich auch wichtig, doch bei vielen anderen dringenden Themen konnte er nicht liefern. Wie schon gesagt, das ist nicht (nur) seine Schuld, er erbte viele Probleme, die strukturell im Argen liegen. Doch dann darf er seinen Mund im Wahlkampf nicht so voll nehmen.

Vor allem nicht bei Themen, die gar nicht in seinen Zuständigkeitsbereich als Landrat fallen. Viele seiner Wahlkampfversprechen waren daher einfach lächerlich. Er fischte in bester populistischer Manier um Wähler:innenstimmen, indem er ankündigte, den Euro und Rundfunkbeiträge abschaffen, Grenzen schließen und Friedensverhandlungen mit Putin anleiern zu wollen. 

Die Realität sieht jedoch so aus: Ein Landrat hat bei all diesen Themen keine Zuständigkeit. Er benutzte nur hohle Phrasen, er wusste, dass er diese Versprechen nicht einhalten kann. Ergo verkaufte er die Bürger:innen in Sonneberg schlichtweg für dumm. Er legte nicht mal ein Mindestmaß an Ehrlichkeit an den Tag, täuschte mit diesen lächerlichen Wahlkampfversprechen seine Wähler:innen. Ernsthaft, Leute, wir Bürger:innen haben etwas Besseres verdient, als permanent verarscht zu werden. 

Auf dem Boden der Tatsachen – das verschweigt die AfD

Während noch in einem Flyer zur Stichwahl zwischen AfD-Kandidat Sesselmann und dem CDU-Kandidaten Köpper im Juni 2023 gehetzt wurde: “Wir sind nicht das Weltsozialamt” und sofortige Abschiebungen „krimineller und abgelehnter Asylbewerber” gefordert wurden, nahm der Kreis Sonneberg nach sechs Monaten Sesselmann 134 Asylbewerber:innen und ukrainische Geflüchtete auf. Zum Vergleich: Von Januar bis Juni 2023 nahm Sonneberg unter einem CDU-Politiker 74 Asylbewerber:innen und ukrainische Geflüchtete auf. Auch hat sein Landkreis als einer der letzten die Bezahlkarte eingeführt. 

Fakt ist: Deutschland und auch ganz dringend Sonneberg brauchen mehr Zuwanderung, um das Fachkräfteproblem sowie den Demographiewandel abzumildern. Mehr Zuwanderung bedeutet mehr Fachkräfte (ja, auch Asylbewerber:innen sind entweder schon qualifiziert oder können ausgebildet werden), und das wiederum führt zu einer besseren Wirtschaftslage. Das einzige Problem: Das Image von Sonneberg ist schon so, sagen wir mal, problematisch, dass viele potenzielle Kandidat:innen gar nicht mehr kommen wollen. 

Da ist es einerseits gut, dass Sonneberg unter Sesselmann mehr Schutzsuchende aufgenommen hat, andererseits haben wir oben gesehen, dass sie mehr rechtsextremer Gewalt ausgesetzt sind und es an Ansprechpersonen von offizieller Seite mangelt.

Selbst Unternehmen beklagen AfD-Landrat

Ein Fall ist hier exemplarisch hervorzuheben. Ein Thüringer Unternehmer, Michael Petry, warnte vor der AfD. In einem Interview mit der Welt sagte er: „Die AfD verursacht jetzt schon ein massives Problem, unabhängig von dem, was sie tut oder nicht tut, sondern einfach durch ihre Präsenz und die hohe Zustimmung zu ihr“.

Als Beispiel führt Petry die Suche nach einem Chemieingenieur an. Obwohl er einen aussichtsreichen Kandidaten bereits in Aussicht gehabt hatte, sei eine Beschäftigung nicht zustande gekommen. Der Grund: Die Frau des Kandidaten stamme aus Brasilien und diese „hat sich eindeutig positioniert, dass sie hier im Landkreis nicht leben will.“ 

Davon abgesehen, dass die wirtschaftliche Attraktivität eines Standortes Schaden nimmt, wenn Rechtsextremismus und Rassismus grassieren, werden Geflüchtete durch die Bezahlkarte schlichtweg diskriminiert und gegängelt – wann werden Politiker:innen endlich verstehen, dass Pull-Faktoren ein Mythos sind?

Die feige Suche nach Sündenböcken

Fest steht: Sonneberg hat mit handfesten und ernstzunehmenden Problemen zu kämpfen. Viele davon können auf kommunaler Ebene gelöst werden, das braucht jedoch Zeit, fairerweise auch mehr als ein Jahr Amtszeit eines Landrats. Viel Vorzeigbares hat Sesselmann jedoch noch nicht zu bieten. Das auf Social Media kursierende Sharepic (siehe auch oben) ist daher fast richtig, außer dass die Insolvenz von öffentlichen Gebietskörperschaften (also auch Kommunen) gesetzlich ausgeschlossen ist. Der Landkreis Sonneberg ist also nicht insolvent, sondern hat schlichtweg massive finanzielle Probleme. 

Ein AfD-Klassiker ist es jedoch, Probleme, die man großspurig lösen wollte, nun anderen zuzuschieben, weil man merkt, dass man sie nicht einfach eben im Handumdrehen lösen kann. So brachte zum Beispiel die AfD-Fraktion im Kreistag einen Antrag ein, in dem sie behauptete, der Landkreis Sonneberg befinde sich aufgrund der “uferlosen Masseneinwanderung” im “Kollaps”. Die Fraktion forderte unter anderem, Ausländern die Teilnahme an öffentlichen Versammlungen zu untersagen und Mindestabschiebezahlen festzulegen. Letztlich zog die Fraktion selbst den Antrag zurück.

Die AfD merkte, dass selbst ein Landrat aus eigenen Reihen keine langwierigen strukturellen Probleme von heute auf morgen lösen kann, doch anstatt zu dieser Erkenntnis zu stehen und Bürger:innen endlich reinen Wein einzuschenken, wird ein Sündenbock gesucht. Und natürlich sind Schutzsuchende der Lieblingssündenbock der AfD. Selbst bei einem “Ausländeranteil” von nur 9% in Sonneberg. Es geht den Rechtsextremen ja nicht um Fakten

Statt offener Kommunikation bevorzugt Sesselmann darüber hinaus, Medien zu ignorieren. So beispielsweise antwortete er focus online nicht auf eine Anfrage. Auch der Spiegel musste einklagen, dass Sesselmann ausführlicher Auskunft gibt und hat Recht bekommen.

Fazit: Zeit für Sesselmann wird knapp

Wie geht es also weiter in Sonneberg? Bei den Kommunalwahlen im Mai konnte die AfD zulegen – sie hat nun die meisten Sitze im Sonneberger Kreistag.

Was das Kommunalmanagement des AfD-Landrats angeht, hat Sonneberg nach Sesselmanns Amtsantritt definitiv ein blaues Wunder erlebt – aber nicht im AfD-Sinne. Denn im deutschen Sprachgebrauch ist ein “blaues Wunder” selten etwas Positives. Auch Chrupalla blamierte sich auf dem AfD-Parteitag mit demselben Spruch:

Geht es dem Landkreis weiterhin schlecht, könnte ein Zusammenschluss mit dem Kreis Suhl folgen, ein Großkreis Suhl ist schon seit Langem im Gespräch. Damit wäre die Zeit des AfD-Landrats Sesselmann auch abgelaufen. Jetzt müsste Sesselmann also liefern – bisher sehen seine vorzuweisenden Ergebnisse aber eher mau aus. 

Artikelbild: Martin Schutt/dpa