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Warum wir zu Trump und anderen Themen erstmal schweigen

von | Jul 17, 2024 | Aktuelles

Volksverpetzer hat lange gebraucht, bis der erste Artikel zum Trump-Attentat herauskam. Während andere schon wenige Minuten danach ihre Theorien fertig hatten, wer warum was gemacht habe und die Auswirkungen auf die Zukunft der Weltgeschichte diskutiert wurden, haben wir erst fast zwei Tage später darauf reagiert. Das Schweigen kam nicht aus Faulheit oder Bequemlichkeit – sondern weil wir wissen, wie Fake News in hektischen Situationen entstehen. Gerade dieses Attentat ist ein gutes Beispiel. Oder auch ein sehr schlechtes.

Der Stand zum Attentat: Vieles immer noch unklar

In der Nacht von Samstag zu Sonntag (deutscher Zeit) schoss während eines Wahlkampfauftrittes in Pennsylvania eine Person auf den US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Donald Trump wurde nur leicht verletzt, doch tragischerweise starb ein Zuschauer. Außerdem wurde der Attentäter von den Sicherheitskräften unmittelbar nach den ersten Schüssen getötet. Er war ein 20-Jähriger aus der Nähe von Pittsburgh. Sein Motiv oder auch nur die Frage, ob seine Tat überhaupt politisch motiviert war, bleiben weiterhin unklar. Wir berichteten.

Allerdings berichteten wir erst nach einigem Schweigen, zumindest aus Sicht unserer Leser:innen. Während seit der Nacht des Attentats Tagesschau, Spiegel, BILD und Co. Breaking News aneinanderreihten, blieben wir erst einmal still, bis auf eine Warnung, dass vieles unklar sei und auch wir erst einmal Geduld haben müssen. Ausgerechnet die vom Anti-Fake-News-Blog schweigen so lang zu diesem Attentat? Wie kann das sein? Die einfache Antwort: Weil wir unseren Job gut machen wollen. Doch wir wollen die Gelegenheit mal nutzen, um ein bisschen weiter auszuholen und zu erklären, warum wir über manche Dinge schreiben und über andere schweigen. Oder eben auch erst nach einer Weile berichten.

Hauptgrund fürs Schweigen: Kapazitäten

Dieser Grund ist oft der wichtigste, so banal er auch klingt. Wir sind ein Team von gut einem Dutzend Leuten, die Mehrheit in Teilzeit aktiv. Davon ist nur knapp die Hälfte regelmäßig für Redaktionsarbeit verfügbar. Wir können schlicht und ergreifend nicht so viel recherchieren und schreiben wie große Redaktionen. Aber es kommt auch noch etwas dazu.

Wir kritisieren oft andere Medien, dass sie nicht gründlich genug arbeiten. Viele stehen immer noch hilflos oder auch naiv der Flut von Fake News und Desinformation gegenüber, die AfD, Welt, BILD und Co. ins Netz blasen. Das große Problem mit Desinformation ist ja eben, dass eine Fake News innerhalb von Sekunden in die Welt gesetzt ist. Die Widerlegung fordert sorgfältige (und das heißt oft: langwierige!) Recherche.

Es gibt nicht das perfekte Rezept, um Fake News zu enttarnen und zu bekämpfen. Ehrlich, wir improvisieren hier auch jede Menge. Was wir allerdings aktiv machen (und da kommen wir wieder zum Kapazitätsproblem): Wir lesen uns in die Themen, zu denen aktuell viele Fakes kursieren, gründlich ein. Und damit meinen wir nicht Wikipedia-Artikel und YouTube-Videos. Nein, wir haben zum Beispiel 2020 hunderte Stunden damit verbracht, Studien zu lesen und uns mit Wissenschaftler:innen auszutauschen, um euch eine wissenschaftlich fundierte Position zum Thema Corona präsentieren zu können. Erst, wenn man in einem Thema so tief drin steckt, kann man schnell eine qualifizierte Einschätzung dazu entwickeln, ob man es mit einer Desinformation zu tun hat. Und selbst dann muss man immer noch die Details überprüfen und gegenchecken. Kurz gesagt: Ein Heidenaufwand.

Trump-Attentat: Schweigen gegen Fake News?

Warum nun also unser tagelanges Schweigen zum Trump-Attentat? Haben wir uns einfach mal eine Auszeit gegönnt und gesagt “das ist jetzt nicht so wichtig”? Ganz im Gegenteil.

Tatsächlich haben wir auch hier schon ab Sonntagnacht versucht zu verstehen, was genau passiert ist. Wir haben verschiedenste US-Quellen befragt, uns mit Open Source Intelligence-Expert:innen ausgetauscht und Hintergründe recherchiert. Uns war aber vor allem auch sofort klar, dass das Internet vor Mutmaßungen und Verschwörungsmythen nur so platzen würde. Unsere Rolle in einer solchen Situation ist es dann NICHT, “die Fakten” oder gar “die Wahrheit” festzustellen. Das ist, so ernüchternd das auch klingt, zunächst einmal die Aufgabe der Ermittler:innen vor Ort. Erst langsam setzen sich dann die Puzzleteile zusammen, zum Beispiel hat die Washington Post erst Dienstagabend eine genaue Analyse dazu verfasst, wie Bäume die Sicht auf den Attentäter verdeckten.

Nein, wir können stattdessen vor allem insofern der Verbreitung von Fake News entgegentreten, indem wir in der von Spekulationen aufgeheizten Stimmung dazu aufrufen, es uns im Zweifel lieber gleichzutun – und zu schweigen. Genau das haben wir im Artikel von Montag getan.

Wobei, das Wort “schweigen” hier vielleicht ein bisschen zu weit geht. Es ist natürlich im Kampf gegen Fake News wichtig, die gesicherten Informationen zu verbreiten und einzuordnen. Name, Alter und Wohnort des Täters waren schnell bekannt (und das heißt hier: offiziell bestätigt!). Es war klug, dass diese so zeitig veröffentlicht wurden, denn so konnten die bereits keimenden Spekulationen über die Identität schnell erstickt werden. Gleichzeitig sind aber auch andere Details bekannt geworden, die selbst zum Gegenstand von Spekulationen geworden sind. Beispielsweise ist der Täter registrierter Republikaner gewesen. Das wurde im Netz oft fälschlicherweise mit “Trump-Supporter” gleichgesetzt, woraus die ersten Verschwörungsmythen entstanden.

Hier zeigt sich der Spagat, den wir ständig machen müssen: Wir müssen schnell genug sein, um im Idealfall vor den Fakes zu argumentieren und gleichzeitig gründlich genug, um nicht selbst Teil des Problems zu werden.

Weitere Gründe fürs Schweigen

Es gibt auch noch andere Gründe dafür, dass wir zu vielen Dingen erst einmal schweigen. Besonders oft hören wir vorwurfsvolle Fragen in die Richtung “Warum habt ihr euch dazu nicht positioniert?”, verbunden mit aktuellen, emotional aufgeladenen Themen. Der Vorwurf dahinter: Auch wenn noch nicht alle Fakten klar sind, könnten wir uns doch wenigstens mal positionieren. Doch unser Selbstverständnis funktioniert anders als das von klassischen Influencern.

Wir positionieren uns nicht zu Themen, nur um “dazu mal etwas gesagt” zu haben. Auch positionieren wir uns nicht zu Themen, um uns moralisch sauber zu präsentieren. Volksverpetzer-Leser:innen wissen selbstverständlich, dass wir überzeugte Verteidiger:innen der Demokratie sind und darum gegen jegliche Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und gegen alle antidemokratischen Haltungen kämpfen. Doch wir machen das eben nicht mit schlagwortartigen Positionierungen, sondern mit Fakten und Wissenschaft.

Außerdem haben wir den Anspruch an uns, unseren Leser:innen einen echten Mehrwert zu bieten. Wir sind keine Nachrichtenagentur, ihr werdet bei uns nicht einfach “normale Schlagzeilen in witzig” finden oder so. Nicht falsch verstehen, natürlich sind Nachrichtenagenturen enorm wichtig für die Demokratie und auch für unsere Arbeit. Aber wir wollen eben vor allem die Nische des Kampfes gegen Desinformation und Fake News besetzen und betrachten die politischen Entwicklungen deswegen immer aus dieser Perspektive.

FAzit

Anlass dieses Artikels waren die Reaktionen auf das Attentat auf Donald Trump, doch es geht hier auch darum, Fragen zu beantworten, die wir immer wieder bekommen. Sehr regelmäßig fragen uns Leser:innen, warum wir denn zu diesem oder jenem Thema noch nichts gemacht haben. Und der Artikel hier liefert einige Antworten, denn die Probleme, die wir benannt haben, lassen sich oft auch auf andere Themen anwenden. Wir sind nicht Expert:innen auf allen Gebieten, können also zum Beispiel nicht jeden Konflikt und jede aktuelle Entwicklung auf der Welt spontan einordnen. Wir sind auch keine Aktivist:innen, die sich dazu hinreißen lassen, sich im Zweifel lieber einmal zu schnell zu positionieren, statt gründlich zu recherchieren.

Deswegen kann man aber auch unsere Schlussfolgerungen zu Trump auf viele andere politische Themen ausdehnen. Am wichtigsten: Teilt im Zweifel lieber nichts, auch wenn euch das Thema auf dem Herzen brennt. Gerade bei Positionen, die ihr selbst gut findet und unterstützt passiert es umso schneller, dass ihr einer Fake News aufsitzt. Bedenkt auch, dass ihr, sobald ihr etwas auf Social Media teilt, selbst zur Quelle und zum “Journalisten” für eure Freund:innen werdet. Und denen wollt ihr ja schließlich auch keine Desinformation auftischen – selbst, wenn sie euer Weltbild oder eure Meinung scheinbar bestätigt.

Artikelbild: Lev Radin/shutterstock