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“Weird”: Warum es so gut funktioniert, die US-Rechten “seltsam” zu nennen

von | Aug 18, 2024 | Analyse

Politische Ziele der Republikaner sind nicht nur eine Gefahr für die Demokratie, sondern auch “weird”. Die neue Strategie der Demokraten, die US-Rechtsextremen “seltsam” zu nennen und warum sie funktioniert.

Die Demokratische Basis ist noch ganz erfüllt von der “Walz Mania” – Begeisterung für die Wahl des 60-jährigen Gouverneurs Tim Walz aus Minnesota als Kandidaten für die Vizepräsidentschaft. Diese Nominierung von Walz kam genauso überraschend wie die unbändige Euphorie, die der Gouverneur bei seinen ersten Auftritten auslöste.

Für Walz sprach vieles: Er kommt aus “Middle America”, diente 24 Jahre in der National Guard (was ihn von anderen Politikern unterscheidet, die kürzere Militärdienstzeiten absolvierten – oft, weil es sich gut im Lebenslauf macht), arbeitete anschließend als High School Lehrer und Football-Coach. Einst hatte er Spitzenbewertungen von der National Rifle Association, aber nach einem Amoklauf 2018 änderte er seine Position und plädiert seither für strengere Waffengesetze – obwohl das bedeutete, dass er die Unterstützung der NRA verlor. 

Walz verkörpert eine Mischung aus Güte, Schnauze und Heiterkeit. Ihm scheint die VP-Rolle wie auf den Leib geschneidert zu sein – und vor allem steht er in einem bemerkenswerten Kontrast zu seinem Republikanischen Gegenkandidaten für die Position des Vizepräsidenten, J.D. Vance. Dessen öffentliche Auftritte wirken dagegen hölzern, seine extremen politischen Positionen und Äußerungen sorgen fast täglich für Negativ-Schlagzeilen. 

Harris nannte Trump schon 2018 “weird”

Walz war ein Überraschungskandidat für den Vize-Posten – durchgesetzt hat er sich nicht nur wegen seiner Biographie, seinen politischen Positionen und seiner Beliebtheit in seinem Heimatstaat Minnesota, sondern auch – und vielleicht vor allem – weil er in den Tagen nach Harris’ Bekanntgabe, dass sie sich anstelle Bidens um die Nominierung der Demokraten bewerben werde, in zahlreichen Fernsehinterviews und bei öffentlichen Auftritten eine neue Angriffsstrategie gegen die Republikaner fuhr, die bei der Basis so verfing, dass Harris’ Wahlkampfteam sowie zahlreiche namhafte Demokraten Walz’ Playbook übernommen haben.

Auch wenn Walz als “Erfinder” dieser Strategie genannt wird, war er tatsächlich nicht der erste, der Trump mit dem Label “weird” versehen hat: 2018 wurde Kamala Harris gefragt, was sie als Nominierte tun würde, falls Donald Trump im TV-Duell gegen sie dasselbe Verhalten an den Tag legen würde, wie er es gegen Hillary Clinton getan hatte – nämlich: während sie sprach, hinter ihr auf- und ab zu laufen und bedrohlich nah hinter ihr zu stehen, um sie zu irritieren. Harris erwiderte: “Ich würde sagen: Warum benimmst du dich so seltsam?”

Walz Kommunikationsstrategie klingt banal, wenn man sie zum ersten Mal hört: Er bezeichnet Republikanische Politiker und die von ihnen vertretene Politik als “weird” – als bizarr, seltsam, unheimlich. Wieder und wieder betonte Walz in seinen Auftritten, dass die Forderungen der GOP nicht von der Mehrheit der US-Bevölkerung geteilt würden, und so weit von der Lebensrealität “normaler” Amerikaner*innen entfernt seien, dass sie auf die meisten Wähler*innen extrem seltsam wirken würden. 

“Weird”-Strategie sorgt bei der Demokratischen Basis für Begeisterung

Walz’ Strategie stieß bei der Demokratischen Basis auf so große Zustimmung – die Videoclips seiner Auftritte gingen viral – dass zahlreiche andere, bekanntere Demokraten sie aufnahmen, und sogar Harris’ Wahlkampf-Team ein offizielles Statement herausgab, das die Positionen Republikanischer Politiker als “weird” bezeichnete.

Dieses Narrativ stellt eine deutliche Abkehr von der bisherigen Demokratischen Wahlkampfstrategie und -rhetorik dar: Sicher, schon Biden hatte – zu Recht – davor gewarnt, dass die Pläne der Republikaner eine Gefahr für die Demokratie seien. Doch auch wenn das zutrifft, mehrten sich zuletzt angesichts von Trumps Vorsprung in Umfragen gegenüber Biden neben Fragen zum Alter des Kandidaten auch Sorgen, ob und inwiefern diese Botschaft Menschen, die wenig politisch interessiert sind, überhaupt anspricht. 

Walz und Harris scheinen eine simple wie effektive Alternative gefunden zu haben: Sie betiteln das Bauchgefühl, das viele Amerikaner*innen zu haben scheinen, wenn sie mit den übergriffigsten Positionen der GOP konfrontiert werden – wie der Aussage von J.D. Vance, dass die Demokratische Partei von “miesepetrigen kinderlosen Cat Ladies” (nicht alle der von ihm an dieser Stelle aufgezählten Politiker*innen sind kinderlos oder Frauen) geführt werde, implizierend, dass die Wahlentscheidung von Menschen ohne biologische Kinder weniger schwer gewichtet werden sollte als die von Menschen mit biologischen Kindern.

Walz’ Reaktion auf diese Äußerungen war vernichtend: “Du liebe Güte, sie sind jetzt hinter Katzen-Leuten her, viel Glück damit! Mach mal das Internet an und schau, was Katzen-Leute machen, wenn man sich gegen sie wendet”. Walz fügte hinzu: “Es wäre lustig, wenn es nicht so traurig wäre.” 

Nicht gegen Republikanische Wähler*innen, sondern gegen die Ziele der Politiker*innen

Mal weist Walz darauf hin, dass Trump selbst seltsam sei – “Hört dem Kerl doch mal zu – er redet über Hannibal Lecter und darüber, Haie zu schocken und über was auch immer Verrücktes ihm gerade durch den Kopf geht” – mal weist er darauf hin, dass die Politik der Republikaner unter Trump seltsam sei – “Das sind merkwürdige Leute auf der anderen Seite. Sie wollen uns Bücher wegnehmen, sie wollen mit euch in der Arztpraxis dabei sein. Das ist es, worauf es hinausläuft, und beschönigen wir das nicht: Das sind verrückte Ideen.”

Dieser Umgang mit der Republikanischen Wahlkampfstrategie, indem er die Wähler*innen darauf hinweist,  wie diese “bizarren” oder “creepy” Ideen sich unmittelbar auf ihr eigenes Leben auswirken würden, scheint bei den Bürgern zu verfangen. Walz verknüpft das Argument mit einem volksnahen Auftritt – anders als Vance, verstehe er das ländliche Amerika, sagte Walz in einem Interview – und bietet einen Gegenentwurf zu dem Bild, das Vance von “Middle America” malt: “Er liegt völlig falsch.” Die goldene Regel in den ländlichen Gegenden, als deren Fürsprecher sich Vance darstelle, sei “kümmer dich gefälligst um deinen eigenen Kram” – man habe die Lebensentscheidungen seiner Nachbarn zu respektieren, auch wenn man sie selbst vielleicht nicht so treffen würde. 

Den Faschisten ihre wichtigste Waffe nehmen: die Angst

Auf einem Wahlkampf-Event in Minnesota erklärte Walz, dass Republikaner “seltsam” zu nennen nicht bedeute, die Bedrohung, die von ihnen ausgehe, herunterzuspielen: “Gebt ihnen nicht diese Macht. Sind sie eine Bedrohung für die Demokratie? Ja. Werden sie uns unsere Rechte nehmen? Ja. Werden sie das Leben von Menschen gefährden? Ja. Werden sie den Planeten gefährden, weil sie sich nicht um den Klimawandel kümmern? Ja, sie werden all das tun.”

Walz beharrt darauf, dass de Bloßstellung von Faschisten als zutiefst merkwürdig und jenseits des gesellschaftlichen Mainstreams, ihr Lächerlichmachen, sie ihrer Hauptwaffe beraube: “Faschisten brauchen Angst. Aber wir haben keine Angst vor seltsamen Leuten. Wir finden sie ziemlich gruselig, aber wir haben keine Angst.” 

Hier liegt Walz richtig – was Autoritäre und Faschisten nicht ertragen ist, wenn über sie gelacht wird. Wenn man sie zwar ernst nimmt, aber betont, wie creepy, wie schräg, wie bizarr ihre extremen Ansichten für die Mehrheit der Bevölkerung sind. Wenn man das Scheinwerferlicht auf ihre Inhalte hält und die Gefahr, die sie darstellen, nicht verharmlost – aber ihnen den Wunsch verwehrt, als übermächtige Gegner zu erscheinen. Nichts macht sie so wütend, wie wenn die Reaktion auf ihre Positionen nicht Angst und Zittern, sondern Gelächter ist. 

Tim Walz war einer der potentiellen VP-Kandidaten, der dieses Messaging in den ersten Tagen nach der  Nominierung von Harris am effektivsten medial kommuniziert hat.

Reaktion der GOP auf “weird”: Wut und Hilflosigkeit

Denn so simpel die Strategie auch sein mag, ist sie doch hocheffektiv: Die Reaktionen der Republikaner reichen von Zorn bis zu Hilflosigkeit. Vance’ Mitbewerber um den Vizepräsidentschafts-Posten Vivek Ramaswamy klagte, es sei “dumm und kindisch” von Walz, Republikaner “seltsam” zu nennen – eine erstaunliche, plötzliche Sorge um gutes Benehmen von dem Vertreter einer Partei, die mit Trump von einem Mann im Wahlkampf angeführt wird, der bekannt ist für seine ableistischen, rassistischen, abfälligen und respektlosen Beleidigungen seiner politischen Gegner, von Journalist*innen, Richter*innen, Staatsanwält*innen und überhaupt jedem, der ihm nicht passt.   

Trumps Vize Vance zeigte sich bei CNN plötzlich ebenfalls besorgt über die Umgangsformen im Wahlkampf und verglich die Strategie der Demokraten mit der eines “Schulhof-Mobbers” – bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass Republikaner vor zwei Jahren noch “Fuck Your Feelings” T-Shirts zu ihren Wahlkampfveranstaltunen trugen und in Trump jemanden unterstützen, dessen ganze Marke darin besteht, wie ein Schulhof-Mobber zu agieren – inklusive des Ausdenkens von fiesen Spitznamen für seine Opfer.

Das Kindergarten-“Selber!” verfängt nicht

Vance versuchte jüngst, den Spieß umzudrehen, indem er Walz in einem CNN-Interview “seltsam” nannte und kritisierte, wie er seine Frau bei einer Veranstaltung begrüßt habe, als er ihr “einen netten, festen Händedruck aus dem Mittleren Westen gegeben [habe…] und dann versuchte, dies irgendwie unbeholfen zu korrigieren.” Eine Attacke, die implizieren sollte, dass die Ehe von Walz und seiner Frau nur eine Farce sei – was schon Fox News Moderator Jesse Watters behauptet hatte, indem er ebenfalls die Körpersprache von Walz kritisierte, und hinzufügte: “Er bewegt sich nicht, wie ein Mann sich bewegen soll”.

Er implizierte damit, Walz sei stattdessen sexuell interessiert an Männern. Als Beleg führte er an, dass er Kamala Harris Ehemann Doug Emhoff enthusiastischer begrüßt habe als sie.

“Ich denke, es handelt sich um zwei Leute, Kamala Harris und Tim Walz, die sich in ihrer eigenen Haut nicht wohlfühlen, weil sie sich mit ihren politischen Positionen für das amerikanische Volk nicht wohlfühlen, und deshalb beschimpfen sie das amerikanische Volk, anstatt ihm zu sagen, wie sie sein Leben verbessern werden. Ich denke, das ist seltsam.”

Walz wies derlei Vorwürfe entrüstet von sich – er beleidige keine Republikanischen Wähler, sondern weise darauf hin, dass die Vorhaben der gewählten GOP-Politiker extrem und in den Augen der Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung “merkwürdig” seien: “Niemand will diesen merkwürdigen Mist!”, rief er bei tosendem Applaus. 

“Dems in Array

Die Demokraten, von konservativen bis zu progressiven Vertretern wie Alexandria Occasio-Cortez unterstützen zusammen mit der Basis Walz. Das dürfte am Kandidaten, aber auch daran liegen, dass die neue Angriffsstrategie – Republikaner und ihre Politik “weird”, also “seltsam” oder “komisch” zu nennen – ein so deutlicher Bruch mit der bisher üblichen, vorsichtigen Kommunikationsstrategie ist – und so wirkt, als breche endlich eine neue Ära an. Es scheint, als werde die ungewohnte Einigkeit der Demokratischen Partei vorerst weiter halten – genau wie das Gefühl, dass im November noch nicht alles verloren ist. 

Die Strategie scheint also zu zünden: In einer neuen Umfrage bleiben negative Begriffe wie “weird” in der Wahrnehmung von Wähler*innen im August verstärkt an Vance haften, während die Assoziation mit positiven Aspekten seiner Biographie in der öffentlichen Wahrnehmung abgenommen hat. 

Klagen über die “weird”- Strategie der Demokraten von Seiten der Medien messen mit zweierlei Maß: Denn Walz bietet eine persönliche Beurteilung der übergriffigen politischen Positionen gewählter Republikaner an, die auf Fakten beruht – eine Mehrheit der Amerikaner*innen lehnt nach Umfragen Vance’ und Trumps Positionen ab. Die Ansichten, die vor allem Vance, aber auch Trump vertreten, sind am äußersten Rand der amerikanischen Rechten angesiedelt – die unter Trumps Führung allerdings in den Mainstream der GOP Einzug erhalten haben. 

Der GOP die Deutungshoheit dessen streitig machen, was “normal” ist

Es mag banal aussehen, aber die Pläne von Republikanischen Politikern und ihre Weltsicht als “weird” zu bezeichnen, bedeutet auch, dass die Demokraten sich endlich, nach Jahren des Zögerns, in der Offensive befinden. Jahrzehntelang haben Republikaner für sich beansprucht zu definieren, was als “normal” gilt. Von Nixons Begriff der “stillen Mehrheit” bis heute hat die GOP die Deutungshoheit darüber, was die Mehrheit der US-Bürger*innen für gesellschaftlich akzeptabel hält, innegehabt – und Demokraten haben ihnen weitgehend das Feld überlassen.

Die neue Kommunikationsstrategie von Walz und Harris zeigt, dass Demokraten endlich bereit sind, kämpferisch zu sein – und in klaren, einfachen Worten für ein anderes Amerika einzustehen – eines einer wahrhaft pluralistischen, multi-ethnischen Demokratie, in der Hass und Diskriminierung keinen Platz haben. Hoffnung, gar Begeisterung, Spaß am Wahlkampf – ein ungewohntes Gefühl für Demokraten in den letzten Jahren, aber dafür ein umso schöneres. 

Artikelbild: lev radin (Trump), Alex Brandon/AP/dpa (Vance)